PRESSE

 

Auszug Nippers 1/2019

 

Stressmanagement für mein Tier beginnt bei mir:
Wann stresse ich mein Tier?

Wenn es um unsere Tiere geht, tun wir ziemlich viel. Wir lassen Physiotherapeuten ins Haus kommen, schicken unsere Tiere auf das Unterwasserlaufband, gehen zum Tierpsychologen, lassen Gold implantieren oder Blutegel setzen. Wir Besitzer bestimmen über unsere Tiere: wann sie fressen, wie oft sie fressen, was sie fressen, wo und wie sie leben, wann sie rausgehen, mit wem sie spielen und vieles mehr. Unsere Tiere sind von uns abhängig. Wir bestimmen über
ihre Welt. WIR sind ihre Welt! Umso wichtiger ist es, dass wir als Besitzer uns immer wieder selbst reflektieren: In welcher Stimmung sind wir gerade? Sind wir fröhlich, lustig, gut gelaunt, glücklich? Oder sind wir eher gestresst, gehetzt, genervt, wütend oder sogar aggressiv? Und welchen Einfluss hat unsere aktuelle Stimmung auf unsere Tiere?

Inwieweit stressen wir selbst unsere Tiere?

Ein Mann mit einem Rüden fragt nach einer Kastration. Sein Hund sei immer so anstrengend. Er möchte, dass er ruhiger wird. Der Hund bellt, ist sehr aufgeregt und zappelt an der Leine. Der Besitzer redet sehr schnell, fährt sich hektisch durch die Haare, wippt ständig mit dem Fuß und kann nicht stillstehen. Er macht einen sehr gereizten und gestressten Eindruck.

Ich frage, ob er grundsätzlich ein ruhiger Mensch ist. Er verneint und erzählt, dass er selbst schon immer Probleme hatte, sich zu konzentrieren und Ruhe zu finden. Sein Hund spiegelt ihn. Ihm war dies nicht bewusst.

Als Tierärztin sehe ich in der Praxis oft Menschen, die sich nicht bewusst darüber sind, welchen Einfluss sie selbst auf ihr Tier haben.

Hund

Ein weiteres Beispiel mit genauerer Betrachtung:

 

In der Tierarztpraxis stellt man täglich die Bitte an den Tierbesitzer, dass er sein Tier auf die Waage stellen und wiegen soll. Noch bevor man es zu Ende gesprochen hat, zerren manche Besitzer am Halsband oder Brustgeschirr, reißenden Hund von links nach rechts und schimpfen mit ihm, warum er nicht auf die Waage geht.

Der Besitzer hat im Kopf: Hund wiegen und legt los. Er verpasst aber den Moment, seinem Tier mitzuteilen, sei es verbal oder nonverbal, was er jetzt von ihm möchte.

Einem Kind würde man sagen: „Geh mal bitte auf die Waage. "Kein Elternteil würde sein Kind einfach auf die Waage zerren oder es drauf schubsen. Warum tut es dann manch' ein Halter mit seinem Hund? Was ist der Grund dafür? Es fehlt hier an jeglicher Kommunikation vom Besitzer zum Tier.

Versetzen wir uns in die Lage des Hundes: Er fühlt sich überrumpelt, wird Wild durch die Gegend gezerrt, bekommt im schlimmsten Fall keine Luft, wird auf ein großes, unbekanntes, silbernes Ding gestellt, was unter ihm wackelt und Unsicherheit auslöst. Zusätzlich merkt der Hund, dass Herrchen jetzt sauer auf ihn ist. Er weiß allerdings nicht wieso. Er spürt, dass Herrchen genervt ist. Er spürt die „schlechte Energie", wird unsicher und ängstlich. Herrchen hat die Stimme erhoben und das heißt in der Regel nichts Gutes.

Dann wird der Halter gebeten, seinen Hund auf den Tisch zustellen. Er packt das Tier und stellt es mit einem Ruck auf den Tisch. Dann lässt er es da stehen und geht zwei Schritte zurück.Der Hund ist jetzt noch verwirrter. Zu Hause steht er nie auf dem Tisch und Herrchen ist auch nicht mehr in Reichweite. Dies verstärkt seine Unsicherheit und seine Angst. Er zittert und guckt ängstlich. Der Besitzer sagt: „Der ist immer so ein Angsthase in der Praxis. Ich verstehe gar nicht, warum.
Es gibt viele Faktoren, die einen starken Einfluss auf die Psyche eines Tieres haben und die durch den Besitzer verursacht werden. Diese nennt man Stressoren:

Stressmanagement

Die sogenannten Stressoren

  1. Stressoren 1: chronische Stressoren, welche sich aus gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen ergeben und sich negativ auf die Gesundheit auswirken (z. B. Erkrankungen des Besitzers, nicht artgerechte Haltung, Lärm, Hitze, Kälte, Hunger, Reizarmut/Langeweile etc.)
  2. Stressoren 2: wichtige Lebensereignisse, deren Bewältigung soziale und emotionale Neuorientierung verlangt (z. B. Scheidung, Heirat, Wohnortwechsel, Kinderzuwachs, Tod des Besitzers, Trauma etc.)
  3. Stressoren 3: alltägliche Ereignisse (z. B. Disharmonie und Konflikte im sozialen Umfeld, zu hohe oder zu geringe Beanspruchung durch die alltäglichen Aufgaben, Störung der Erholungsphasen etc.)

Als Antwort auf die Stressoren wird eine bestimmte Stressreaktion beim Tier ausgelöst. Diese kann auf folgenden Ebenen einzeln oder auch zusammen ablaufen:

  • somatische Ebene (Körper): Durchfall, Erbrechen, Blasenentzündungen, Schwäche, Schlafstörungen, schnellere Atmung, erhöhter Muskeltonus, Zittern etc.
  • behaviorale Ebene (Verhalten): Futterverweigerung, sozialer Rückzug, Kot- und Urinabsatz in der Wohnung, Vernachlässigung der Körperhygiene, Unruhe etc.
  • kognitive Ebene (Gedanken): Resignation, Konzentrationsmangel, Lustlosigkeit etc.
  • emotionale Ebene (Gefühle): Wut, Angst, Traurigkeit, Aggression, Unsicherheit, Nutzlosigkeit, Überforderung, etc.

 

Was können Sie als Hundehalter also tun, um ihren Einfluss auf ihr Tier zu kontrollieren, damit es gesund bleibt? Versetzen Sie sich häufiger in die Lage Ihres Tieres!

Wie würde es mir in dieser Situation gehen? Wie würde ich mich fühlen, wenn so etwas mit mir geschehen würde? Was würde es in mir auslösen? Würde es mir gefallen, wenn man mit mir so umgeht? Und wie würde ich reagieren?

Reflektieren Sie sich selbst: Wie geht's mir gerade? Bin ich genervt, aggressiv, wütend und gestresst? Lasse ich meine Laune gerade an meinem Tier aus? Beschimpfe ich mein Tier zu Unrecht? Kann es sein, dass ich mich gerade falsch verhalten habe und nun dafür mein Tier beschimpfe? Und kann es sein, dass mein Tier eben nicht falsch REAGIERT hat, denn es wusste ja gar nicht, dass es reagieren sollte?! Kann es sein, dass ich meinem Tier gar nicht mitgeteilt habe, was es machen sollte? Habe ich vielleicht selbst einen Fehler gemacht? Warum schimpfe ich also mit meinem Hund? Wie gehts mir denn gerade? Warum bin ich so genervt? Welche Themen beschäftigen mich gerade und stressen MICH gerade? Wenn ich jemand anders wäre, würde ich mein Verhalten toll finden? Was würde ich diesem Menschen raten?

Wichtig ist: Es geht nicht um Schuldzuweisung. Es geht lediglich darum, die Ursachen und Zusammenhänge aufzudecken. Wenn wir wissen, warum wir etwas tun und warum unser Tier entsprechend auf uns reagiert, dann ist das der erste Schritt in die richtige Richtung – die Veränderung beginnt bei uns. Unser Verhalten als Tierbesitzer steht in unmittelbarem Bezug zu dem unserer Tiere. Deswegen tut jeder Tierbesitzer seinem Tier etwas Gutes, wenn er ab und an sein eigenes Verhalten beleuchtet und kritisch hinterfragt. Und wenn dies jemandem allein schwerfällt, gibt es immer die Möglichkeit, jemanden aufzusuchen, der einem dabei hilft.

 

Ihre Katrin Wontorra